Lise Vogel und die Politik der Frauenbefreiung

Issue: 144

von Nicola Ginsburgh

http://isj.org.uk/lise-vogel-and-the-politics-of-womens-liberation—Oktober 2014, aus dem Englischen von Rosemarie Nünning1

Mit der wachsenden Wut über Frauenunterdrückung und angesichts der Aktivitäten gegen diese sind auch viele der Argumente aus den 1970er und 1980er Jahren über die Brauchbarkeit der marxistischen Analyse der Frauenunterdrückung wieder aktuell geworden.2 Die Neuausgabe von Lise Vogels Buch „Marxism and the Oppression of Women“, das ursprünglich 1983 veröffentlicht und seinerzeit weitgehend ignoriert wurde, ist ein willkommener Beitrag zu der neuerlichen Debatte. Im Mittelpunkt des ursprünglichen Textes von Vogel steht eine wichtige Erörterung über die soziale Stellung der Frau in der Gesellschaft, die nur zu verstehen sei, wenn die gesellschaftlichen Ausbeutungsbedingungen analysiert werden, in denen Frauen eine besondere Rolle spielen, weil sie die Kinder gebären und für die Reproduktion der Verhältnisse sorgen, die Ausbeutung ermöglichen.

Vogel präsentiert eine überzeugende materialistische Analyse der Frauenunterdrückung im Kapitalismus, dennoch leidet ihr Text unter ein paar kleineren Fehlern. Mit dieser Besprechung will ich zeigen, dass Vogel zwar plausibel gegen den Dualismus (von Klassenkampf und Geschlechterkampf; d. Übers.) in der Theorie der sozialistischen Feministinnen argumentiert und richtigerweise eine einheitliche Theorie der Frauenunterdrückung zu konstruieren versucht, sich aber dennoch nicht ganz von den Beschränkungen des sozialistisch-feministischen Ansatzes zu lösen versteht.

Die Neuauflage von Vogels Buch ist eingebettet in diese wiederaufgeflammte Debatte. In ihrer Einführung beleuchten David McNally und Susan Ferguson (beide Kanada) die derzeitige Popularität des Werks und argumentieren, dass der Einfluss des Postmodernismus auf die Gendertheorie sich gelockert habe und materialistische Ansätze neubelebt worden seien, was unter anderem auf die verschiedenen Frauenbewegungen seit den 1990er Jahren zurückgehe. Ihre Zusammenfassung des Beitrags von Vogel ist im Großen und Ganzen nicht zu bemängeln. Aber die neue Richtung, die sie zur Entwicklung der „Theorie der sozialen Reproduktion“ vorschlagen, verstärkt die schwächeren Elemente von Vogels Analyse. McNally und Ferguson versuchen neue Trends in der Wissenschaft ausfindig zu machen, die sich mit Unterdrückung und Ausbeutung beschäftigen, und treten für eine Synthese der Positionen einer Reihe schwarzer Feministinnen und David Roedigers (USA) Arbeit über „Whiteness“ (Weißsein) ein, um das Konzept der sozialen Reproduktion zu erweitern.

Das besondere Gewicht, das Ferguson und McNally den Theorien von Wissenschaftlern wie Roediger und Patricia Hill Collins (USA) beimessen, um von hier aus Gender und „Rasse“ im Rahmen eines materialistischen Ansatzes zusammenzuführen, ist problematisch. Collins und Roediger haben auf je eigene Weise argumentiert, dass einige Schichten der Arbeiterklasse durch „rassische“ Identifikation einen Machtzuwachs hätten, der der multi-„rassischen“ Solidarität im Wege stehe.3 Ferguson und McNally unterstreichen die Bedeutung Roedigers mit dem Argument, seine Arbeit könne als Ergänzung marxistischer Studien, wie sie der US-amerikanische Intellektuelle Theodore „Ted“ Allen über die „Erfindung der weißen Rasse“ verfasst hat, dienen. Das klingt etwas bizarr, da Letzterer wiederholt und systematisch die theoretischen Grundannahmen in Roedigers Ansatz kritisiert hat.4 Fergusons und McNallys „neue Ziele“ erweisen sich letztendlich als ungereimter Mischmasch derzeit populärer Theorien und Diskurse, statt als ernsthafte Diskussion, wie Vogels Theorie der sozialen Reproduktion weiterentwickelt werden könnte.

Das A und O

In seinem Werk „Das Kapital“ argumentiert Karl Marx, dass Lohnarbeit die Essenz des kapitalistischen Systems sei: Arbeiterinnen und Arbeiter verkaufen ihre Arbeitskraft an Kapitalisten im Gegenzug für einen Lohn. Arbeitskraft ist „der Inbegriff der physischen und geistigen Fähigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Persönlichkeit eines Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchswerte irgendeiner Art produziert“.5 Arbeitskraft ist unabdingbar für das kapitalistische System und muss wiederhergestellt (reproduziert) werden. Vogel versucht mit ihrer Theorie der sozialen Reproduktion zu erklären, wie dieser Prozess vonstattengeht:

Die Träger der Arbeitskraft sind menschliche Geschöpfe und brauchen Nahrung und Wasser, Schlaf und Obdach. Vogel benutzt Marx’ Konzept der „individuellen Konsumption“ in Bezug auf die Prozesse, die dazu beitragen, dass die direkten Produzenten täglich zur Arbeit zurückkehren können. Der Begriff der „ergänzenden Arbeit“ bezieht sich auf Prozesse, die zur Fortsetzung der individuellen Konsumption erforderlich sind—Feuerholz hacken, Betten machen, Nahrung kochen, Kleidung flicken etc.6 Neben dem täglich stattfindenden Prozess der Erholung und der Lebenserhaltung, der es der Arbeiterin und dem Arbeiter erlaubt, täglich zur Arbeit zu gehen, muss die Arbeiterschaft insgesamt langfristig reproduziert werden. Es muss also auch ergänzende Arbeit geleistet werden, um einstige und künftige Arbeiter am Leben zu erhalten—diejenigen, die zu jung oder zu alt oder zu krank sind, um zu arbeiten. Allgemeiner gesagt müssen Arbeiter, die nicht mehr aktiv sind oder sterben, durch neue Arbeiter ersetzt werden. Das kann geschehen, indem die eine Generation von Arbeitskräften die andere ablöst, Frauen oder Kinder in den Arbeitsmarkt geholt oder außerhalb liegende Quellen wie Sklaven oder Zuwanderer erschlossen werden. Während Vogel die makabre Möglichkeit in Betracht zieht, dass eine Gruppe Arbeiter bis zum Umfallen arbeitet und dann durch externe Quellen von Arbeitskräften ersetzt wird—so wie in den Goldbergwerken des römischen Ägyptens, in den französischen Gummiplantagen in Indochina und in den Arbeitslagern Nazideutschlands—, ist es üblicher, Arbeiter durch die nächste Generation zu ersetzen, weil Kinder geboren werden, aufwachsen und in die Arbeiterschaft eintreten, um in der Produktion die vorherigen Arbeiter zu ersetzen.

Dieser Aspekt der Reproduktion der Arbeitskraft ist die Grundlage für die unterschiedliche Rolle von Männern und Frauen in der „gesellschaftlichen Reproduktion“:

Wenn eine neue Generation von Arbeitskräften die alte ersetzen soll, muss es eine biologische Reproduktion geben. Und hier müssen wir feststellen, dass menschliche Wesen sich nicht durch Parthenogenese (Jungfrauengeburt) reproduzieren. Frauen und Männer sind unterschiedlich […]. Biologische Unterschiede sind die materielle Voraussetzung für die gesellschaftliche Konstruktion von Genderdifferenzen und auch ein direkter materieller Faktor für die unterschiedliche Position der Geschlechter in einer Gesellschaft.7

In der Regel nimmt die Arbeitsfähigkeit während der Schwangerschaft eine Zeit lang ab. Andere Erwachsene, historisch gesehen der biologische Vater und seine Verwandtschaftsgruppe, sorgen in dieser Zeit für die Frauen. Frauen sind zwar nicht ständig schwanger, dennoch ist dies eine Grundlage für die Männern und Frauen zugewiesenen unterschiedlichen Rollen, einschließlich der Tatsache, dass ergänzende Arbeit traditionellerweise eher von Frauen verrichtet wird. Aber diese biologische Funktion stellt nicht an und für sich schon eine Quelle der Unterdrückung dar; erst durch die Widersprüche, die sich für die herrschende Klasse aus der Notwendigkeit ergeben, Mehrarbeit zu extrahieren und die Arbeitskraft zu reproduzieren, entsteht Frauenunterdrückung.8 Vogel erklärt:

Der über die Bedingungen der Produktion ausgetragene Klassenkampf ist die Hauptdynamik der gesellschaftlichen Entwicklung in Gesellschaften, die von Ausbeutung gekennzeichnet sind. In diesen Gesellschaften eignet sich die herrschende Klasse die Mehrarbeit an, und eine wesentliche Bedingung für die Produktion ist die ständige Anwesenheit und Erneuerung einer untergeordneten Klasse direkter Produzenten, die an den Arbeitsprozess gebunden sind. Die Arbeiterschaft wird im Großen und Ganzen durch die nächste Generation ersetzt und die Fähigkeit der Frauen, Kinder zu gebären, spielt deshalb in der Klassengesellschaft eine entscheidende Rolle. Aus Sicht der gesellschaftlichen Reproduktion wurzelt Frauenunterdrückung in Klassengesellschaften in ihrer anderen Position in Bezug auf den Prozess der Ersetzung der Arbeiterklasse durch die jeweils folgende Generation.9

Da die herrschende Klasse im Kapitalismus sich Mehrarbeit aneignen muss, um Profit zu generieren, stellt die Zeit der Schwangerschaft, in der die Arbeitsfähigkeit der Frauen sinkt, kurzfristig einen potenziell teuren Verlust für die Produktion dar. Dennoch sind die Kapitalisten auf den Prozess des Kinderbekommens angewiesen, weil sonst die Quellen für neue Arbeitskräfte versiegen würden (es sei denn, sie würden durch Sklavenarbeit oder Zuwanderer ersetzt). Deshalb, sagt Vogel, „stellt die Fähigkeit, Kinder zu gebären, aus Sicht der herrschenden Klasse einen Widerspruch zu der Notwendigkeit der Aneignung der Mehrarbeit dar. Die Unterdrückung der Frauen der ausgebeuteten Klasse entwickelt sich im Verlauf des Klassenkampfs über die Auflösung dieser Widersprüche.“10

Diese Diskussion bewegt sich weitgehend auf einer sehr allgemeinen Ebene: der der Klassengesellschaft. Häusliche Arbeit und Lohnarbeit geraten im Kapitalismus allerdings zusehends in Konflikt miteinander, da die Kapitalisten versuchen, die Extraktion von Mehrarbeit im Produktionsprozess zu erhöhen. Je mehr Zeit ein Lohnarbeiter für ergänzende Arbeit aufbringen muss, desto weniger Zeit kann er für den Kapitalisten aufbringen. Die wachsende Kontrolle über das Arbeiterleben in der Lohnarbeit trennt die Prozesse der Arbeitskraft und ihrer Reproduktion. Die Lohnarbeit nimmt einen anderen Charakter an als das Leben des Arbeiters außerhalb dieses Prozesses. Diese Trennung leistet „mächtigen ideologischen Strukturen Vorschub, die ein starkes Eigenleben annehmen“.11 Aber die Trennung von Männern und Frauen entsprechend der jeweiligen Sphären ist weder vollständig noch statisch:

Abhängig von der historischen Situation kann entweder der Rolle der Familie als Ort der Reproduktion der nächsten Generation oder der Beteiligung der Frauen an der Mehrarbeit oder beidem Gewicht zugemessen werden. Wenn für die herrschende Klasse die Notwendigkeit zur Maximierung der Mehrarbeit langfristige Erwägungen überwiegt, mögen alle Individuen der ausgebeuteten Klasse mobilisiert werden für die Mehrproduktion, was zu schweren Verwerfungen in den Institutionen des Familienlebens und der männlichen Dominanz führt. In diesem Kontext können Ideologien, die den natürlichen Platz der Frau im Heim sehen, in Konflikt mit dem Bedarf des Kapitals nach weiblichen Arbeitskräften geraten, was heißt, dass diese Prozesse möglicherweise von Männern wie Frauen angefochten werden.12

Sozialistischer Feminismus

Vogel hat mit ihrer Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion die Defizite der sozialistisch-feministischen Strömungen, die sich in den 1960er Jahren herausbildeten, zu heilen versucht, insbesondere jene, die aus der Debatte über die Funktion der Hausarbeit im Kapitalismus entstanden. Vor allem versuchte sie an die Stelle der Theorie von einem doppelten System, die „zwei gleich mächtige Motoren der Geschichte: Klassenkampf und Geschlechterkampf“13 zu erkennen glaubte, eine einheitliche Theorie zu setzen, um die Separation von Produktion und Reproduktion aufzuheben.

Die 1960er Frauenbewegung kam auf, als Veränderungen in der Position von Frauen bezüglich bezahlter Beschäftigung und Bildung in Konflikt mit den angeblich archaischen, aber genau genommen sehr neuen Familienstrukturen und Geschlechterrollen kamen. Der Zweite Weltkrieg hatte zu einer bedeutenden Umstrukturierung der Arbeiterschaft geführt, als Frauen auf den Arbeitsmarkt strömten, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen. Als die Männer nach 1945 aus der Armee entlassen wurden, erlebten Frauen großen Druck, ihre Positionen aufzugeben, die sie im Krieg eingenommen hatten. Frauen wurden aber nicht völlig in vor dem Krieg bestehende Arbeitsmuster zurückgedrängt, da der Nachkriegsaufschwung auch eine erhöhte Nachfrage nach Arbeitskräften mit sich brachte. Während in den Jahrzehnten vor dem Krieg lohnabhängig beschäftigte Frauen meist jung und unverheiratet waren und oft nur vorübergehende Beschäftigung hatten, arbeiteten nach dem Krieg mehr verheiratete Frauen und Mütter auf halb permanenter Basis. Diese veränderten Beschäftigungsmuster waren aber nicht überall gern gesehen, und eine Ideologie, die Frauen als dienstbares Element in die Kleinfamilie verwies, verschaffte sich erneut Geltung.14 Ein weiterer radikalisierender Einfluss auf Aktivistinnen und Aktivsten war der verbreitete gesellschaftliche Aufruhr der 1960er Jahre – einschließlich der Bürgerrechtsbewegung, der Antikriegsbewegung und der Befreiungsbewegung der Schwarzen und des französischen Generalstreiks von 1968. Eine Schicht Aktivistinnen und Aktivisten versuchte, die Frauenbefreiung in den übergreifenden Kampf für Sozialismus einzubetten, und in den 1970er Jahren hatten sich sozialistische Feministinnen als eigene Strömung in der Frauenbewegung herausgebildet.15

Sozialistische Feministinnen standen sofort vor einer Reihe von Fragen bezüglich der politischen Orientierung. War der Kampf für den Sozialismus ein anderer als der Kampf für Frauenbefreiung? Wenn ja, in welchem Verhältnis standen diese beiden Kämpfe zueinander und wie konnten die jeweiligen Ziele erreicht werden, ohne den einen Kampf dem anderen unterzuordnen? Zudem: Bedurfte es einer autonomen Bewegung der Frauen?

Sozialistische Feministinnen versuchten Frauenunterdrückung mithilfe eines historisch-materialistischen Ansatzes zu erklären und die Beziehung zwischen dem Prozess der Unterdrückung und dem der Ausbeutung theoretisch zu fassen. Das unterschied sie von radikalen Feministinnen, einem Flügel der Frauenbewegung, der die Widersprüche zwischen Männern und Frauen als tief eingebettet in die gesamte Menschheitsgeschichte sah und die besondere Bedeutung der Sexualität betonte, während der Sozialismus bezogen auf das Ziel der Frauenbefreiung als wirkungslos und bedeutungslos galt. Der sozialistische Feminismus unterschied sich auch vom liberalen Feminismus in der Hinsicht, dass Letzterer sich auf Rechtsreformen und politische Gleichheit im bestehenden kapitalistischen System konzentrierte. Sozialistische Feministinnen behaupteten meist, dass Frauenunterdrückung relativ autonom von der kapitalistischen Ausbeutung funktionierte. Frauenunterdrückung sahen sie in der Sphäre der Reproduktion, Ausbeutung in der Sphäre der Produktion angesiedelt. Aufgrund dieses Ansatzes eines dualen Systems galt ihnen der Kampf gegen Ausbeutung als dem des Kampfes für Frauenunterdrückung ähnlich, aber dennoch anders.

Einige sozialistische Feministinnen gingen über die einfache Feststellung zweier relativ autonomer Sphären von Ausbeutung und Unterdrückung hinaus und versuchten eine Theorie der Beziehung zwischen beiden zu entwickeln, indem sie die Funktion der Frauen in der Hausarbeit analysierten. Margaret Benston (Kanada) stellte im Jahr 1969 die Grundprinzipien einer materialistischen Analyse der Hausarbeit auf, gefolgt von Peggy Morton (USA) im Jahr 1970.16 Beide begriffen Hausarbeit als eine Tätigkeit, die aus materiellen Aktivitäten bestand: Es werden Produkte hergestellt, die im Haushalt konsumiert werden. Der positive Beitrag der Hausarbeitsdebatte bestand in der Einsicht, dass Arbeit von Frauen im Heim die Einheit Haushalt aufrechterhält und einigen seiner Mitglieder es ermöglicht, jeden Tag zur Arbeit zu gehen.17 Die Teilnehmer an dieser Debatte waren sich im Großen und Ganzen darüber einig, dass Hausarbeit wesentlich für die Reproduktion der Arbeitskraft war und Gebrauchswerte schaffte (konkrete Dinge für menschliche Bedürfnisse).

Eine Kontroverse entstand jedoch über die Frage, ob Hausarbeit Mehrwert produziert, was die Grundlage für die Erzielung eines Profits im Kapitalismus ist. Die italienische Wissenschaftlerin Mariarosa Dalla Costa meinte, Frauen, die Hausarbeit verrichten, produzieren Mehrwert, weil die Dienste und Produkte ihrer Arbeit zur Wiederherstellung von Arbeitskraft gebraucht werden—und im Kapitalismus ist Arbeitskraft eine Ware.18 Frauen seien die Sklaven der männlichen Lohnsklaven, sagte sie, wobei erstere Sklaverei die zweite ermöglicht. Folgerichtig begriff Dalla Costa Hausfrauen als ausgebeutete produktive Arbeiterinnen und ihre Theorie wurde zur Inspiration einer kleinen Bewegung, die Lohn für Hausarbeit forderte.19

Weitere Debatten kamen auf über die Frage, ob Hausarbeit als produktive oder unproduktive Arbeit gewertet werden sollte. Die Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit wird traditionellerweise verstanden als Unterscheidung zwischen Arbeit, die zur Schaffung von Mehrwert beiträgt (produktiv) und andererseits von Arbeit, die Gebrauchswert schafft, aber keinen Mehrwert (unproduktiv).20 Die marxistische Wissenschaft der 1970er Jahre war bezüglich der Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit oft mit Mehrdeutigkeit behaftet.21 Diese Konfusion wurde noch dadurch verstärkt, dass bestimmte sozialistische Feministinnen die Begriffe „produktiv“ und „unproduktiv“ mit einer moralischen Wertung versahen.22 Unproduktiv wurde mit wertlos gleichgesetzt und die marxistischen Kategorien schienen mit verdecktem Sexismus getränkt zu sein.

Mitte der 1970er Jahre schien sich diese Diskussion erschöpft zu haben und sozialistische Feministinnen begannen sich mit anderen Fragen auseinanderzusetzen. Vogel sagt, die frühen Beobachtungen von Benston und Morton, dass Hausarbeit Gebrauchswert produziert, der im Haushalt konsumiert wird, seien dem Wesen nach korrekt gewesen, Hausarbeit produziere keinen Tauschwert, deshalb auch keinen Wert, noch könne sie als produktiv oder unproduktiv angesehen werden.23

Fehlerhafte Formulierungen?

Letztendlich sind die sozialistischen Feministinnen trotz ihrer guten Absichten gescheitert, Geschlechterfrage und Klasse, Produktion und Reproduktion, Ausbeutung und Unterdrückung miteinander zu verbinden.24 Vogel versuchte die Fallstricke und Beschränkungen, mit der die Hausarbeitsdiskussion behaftet ist, bei der Aufstellung einer Theorie der Frauenunterdrückung zu vermeiden. Insbesondere formulierte sie ihre Theorie, indem sie bestimmte Kategorien aus Marx’ „Kapital“ aufgriff und erweiterte.

Gleichzeitig argumentierte Vogel jedoch auch, dass die Beschränkungen der sozialistisch-feministischen Theorie auf Friedrich Engels’ Werk, „Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ zurückgehe, was als wichtigstes marxistisches Werk zur Frage der Frauenunterdrückung angesehen wird. Für Vogel war dies Teil eines größeren Problemfelds, nämlich wie die sozialistische Bewegung sich beginnend mit Marx und Engels in der Frauenfrage engagierte.

Vogels Analyse der Beiträge der verschiedenen Sozialisten des 19. und 20. Jahrhunderts, die tatsächlich fast die ersten zwei Drittel des Buchs einnimmt, ist im Gegensatz zu ihrem Schlussteil, in dem sie ihre eigene Theorie der gesellschaftlichen Reproduktion unterbreitet, schwach. Insbesondere hat sich Vogel bedauerlicherweise nicht mit einigen wichtigen Argumenten Clara Zetkins und Wladimir Lenins ebenso wie Rosa Luxemburgs, Alexandra Kollontais und Leo Trotzkis (Letztere werden noch nicht einmal erwähnt) über die entscheidende Rolle der Arbeiterklasse zur Erringung der Frauenbefreiung befasst. All diese Revolutionäre betonten, dass Arbeiterinnen an der Seite der Arbeiter kämpfen müssten, um die eigene Befreiung zu bewirken.25 Vogel kritisiert also Zetkin, weil sie Frauen allein als Arbeiterinnen sehe und auf diese Weise die Frauen und Töchter der Arbeiterklasse, die keine Lohnarbeit verrichten, unsichtbar würden. Sie setzt sich aber nicht mit dem Hauptargument Zetkins auseinander, dass Arbeiterinnen kollektive Macht als Teil der Arbeiterklasse gewännen, da sie eine Funktion in der kapitalistischen Produktion einnehmen.

Auch Vogels kritische Auseinandersetzung mit Marx und Engels ist weniger beeindruckend als ihr eigener positiver Beitrag zur Theorie der Frauenunterdrückung. Andererseits verteidigt Vogel Marx und Engels gegen jene, die sagen, sie seien schlicht in den chauvinistischen Annahmen, wie sie typisch für die Männer des viktorianischen Großbritanniens gewesen waren, gefangen gewesen. Sie hält fest, dass Marx und Engels viel mehr zur Frauenfrage zu sagen hatten, als Kommentatoren wahrhaben wollten.26 Dann wiederum geht Vogel besonders verächtlich mit Engels’ „Ursprung der Familie“ um. Während sie zu Recht viele Details kritisiert, ist ihre Gesamteinschätzung des Werks als „mangelhaft“ unnötig geringschätzig.

Engels schrieb „Ursprung der Familie“ im Jahr 1884 innerhalb eines Monats und stützte sich vor allem auf Lewis Henry Morgans anthropologisches Werk „Die Urgesellschaft“ und einige Anmerkungen und Kommentare, die Marx vor seinem Tod im Jahr 1883 verfasst hatte. Engels versuchte aufzuzeigen, wie sich Verwandtschaftsmuster veränderten und von Entwicklungen in der Produktionsweise geprägt wurden. Vor allem aber vertrat Engels die Auffassung, dass Frauenunterdrückung in einer bestimmten historischen Situation aufkommt, bei dem Übergang von einer Selbstversorgergesellschaft zu einer ein Mehrprodukt erzeugenden.27 Subsistenzgesellschaften sind gekennzeichnet von einer Arbeitsteilung, in der Männer vor allem für Jagd und Fischen zuständig waren, und Frauen für das Sammeln von Wildfrüchten und den Haushalt, wobei beide Tätigkeiten als gleich wichtig galten. Auf dieser Grundlage nahmen Männer wie Frauen auch gleichberechtigt an der kollektiven Entscheidungsfindung teil. Engels vertrat die Auffassung, dass es in diesen Gesellschaften keine Unterdrückungsverhältnisse gab, die männliche Vormachtstellung entstand erst mit dem Aufstieg von Klassengesellschaften. In Urgesellschaften verfügten Männer über die Mittel für die Jagd, das Fischen, den Getreideanbau, und als sich die Produktionsmethoden änderten und die Gesellschaften ein Mehrprodukt zu erzeugen begannen, waren es Männer, die dieses Mehrprodukt kontrollierten. Um den erworbenen Reichtum vererben zu können, mussten Frauen streng kontrolliert werden. Der Ursprung der monogamen Familie ist in der Entwicklung des Privateigentums begründet, und mit dem Aufkommen der monogamen Ehe wurde die Kleinfamilie zur ökonomischen Grundeinheit der Gesellschaft. Engels beschrieb dies als die „weltgeschichtliche Niederlage des weiblichen Geschlechts“, die Frau wurde „bloßes Werkzeug der Kinderzeugung“, wurde „entwürdigt“ und „geknechtet“.28

Engels sah den Grund für Frauenunterdrückung in der wirtschaftlichen Unterordnung der Frau im Haushalt. Deshalb sagten Engels wie auch Marx voraus, dass in dem Maße, wie der Kapitalismus Frauen in die Lohnarbeit hineinzog, die Arbeiterfamilie und Frauenunterdrückung untergraben würden. Vogel hat recht, dass dies eine zu optimistische Einschätzung war, und sie kritisiert Engels’ Optimismus an drei Punkten:

Erstens bleibt die Bedeutung des Arbeiterhaushalts als wesentliche soziale Einheit nicht wegen des Eigentums, sondern wegen der Reproduktion der Arbeiterklasse selbst unterbelichtet. Zweitens übersieht er, wie im proletarischen Haushalt die Grundlage für männliche Vorherrschaft geschaffen wird. Und drittens unterschätzt er erheblich all die ideologischen und psychologischen Faktoren, die Grundlage für die fortgesetzte Vorherrschaft des Mannes in der Arbeiterklasse sind.29

Außerdem kritisiert Vogel Engels’ Neigung, davon auszugehen, dass „Familienpflichten“ natürlicherweise der Bereich der Frauen sind, dass er die Entwicklung der Reproduktionssphäre nicht in Verbindung mit dem Aufstieg der kapitalistischen Gesellschaft bringt und den unterschiedlichen Charakter der Unterdrückung von Frauen in vorkapitalistischen Gesellschaften ausspart, in denen sie eine andere Klassenposition innehatten.

Marx und Engels sind natürlich nicht frei von Fehlern. Engels hat in der Tat den Charakter der Frauenunterdrückung im Kapitalismus in seinem Werk „Ursprung der Familie“ nicht weiter theoretisch behandelt – aber dies war auch nicht Engels’ Hauptanliegen. Engels hat eine Darstellung der Geschichte des Aufstiegs der Familie in Verbindung mit der Entstehung von Klassengesellschaften verfasst und nicht die der Unterdrückung im Kapitalismus. Dabei stellte er fest, dass Geschlechterrollen sozial und historisch bedingt und keine überhistorische, unveränderliche Erscheinung sind. Vogel scheitert faktisch an der Frage des geschichtlichen Ursprungs von Frauenunterdrückung. Während sie also richtigerweise sagt, dass die Familie „keine zeitlose Erscheinung der menschlichen Geschichte ist“, kann sie nicht erklären, warum oder wann die Familie entstand oder wie sie sich mit veränderten Produktionsweisen ebenfalls veränderte.

Die Hauptkritik Vogels an „Ursprung der Familie“ lautet jedoch, Engels habe eine Dualismustheorie (von Klassenkampf und Geschlechterkampf) vertreten. Vogel beschuldigt Engels, zwischen zwei Produktionstypen zu unterscheiden: erstens der Produktion der Subsistenzmittel und zweitens der Produktion des Menschen. Dieser theoretische Dualismus, sagt sie, sei verantwortlich für die Vorstellung von einem doppelten System im sozialistischen Feminismus. In dem von Vogel kritisierten Absatz schreibt Engels:

Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.30

Vogel stimmt insoweit zu, als Engels hier die materielle Seite des gesellschaftlichen Prozesses betont, in den Frauen involviert sind. Aber:

Das heißt, dass die Produktion des Menschen einen Prozess darstellt, der nicht nur einen autonomen Charakter hat, sondern von der Theorieseite her dem der Produktion der Lebensmittel gleich ist. Kurz gesagt scheinen Engels’ Anmerkungen die sozialistisch-feministische Bewegung mit ihrer Konzentration auf Familie, Arbeitsteilung nach Geschlechtern und unbezahlter Hausarbeit zu stützen, ebenso ihre Theorie des Dualismus und ihre strategische Ausrichtung auf die getrennte Organisierung von Frauen.31

Engels für die sozialistisch-feministische Theorie von einem Doppelsystem verantwortlich zu machen, hat er nicht verdient. Chris Harman hat argumentiert, dass der obige Absatz verkürzt dargestellt zwar die Sichtweise von einem doppelten System zu belegen scheint, Engels jedoch weiter schrieb, dass mit der Entwicklung der Klassengesellschaft diese beiden Systeme immer weniger nebenher bestehen.32 Harman schreibt:

Tatsächlich ist es höchst verwirrend, von „zwei Modi“ („modes“, statt von Systemen) zu schreiben. Die Produktionsweise (englisch „mode of production“) jeder Gesellschaft ist die Verbindung von Produktivkräften und Produktionsbeziehungen. Die eine Hälfte dieses Paars übt auf die andere Hälfte ständig Druck zur Veränderung auf. Jede Steigerung der Fähigkeit der Menschen, die Natur zu beherrschen, erzeugt neue Beziehungen zwischen diesen Menschen selbst, und beginnt daher die bisher vorhandenen Produktionsverhältnisse zu verändern.33

Vogel tut Engels Unrecht, wenn sie seine Theorie verantwortlich macht für die Theorie vom Doppelsystem der sozialistisch-feministischen Bewegung. Versuche sozialistischer Feministinnen, eine Theorie zu dem Fortbestehen von Frauenunterdrückung in allgemein für sozialistisch gehaltenen stalinistischen Staaten aufzustellen, sind ein viel besserer Ansatz, das Festhalten an dieser Theorie zu erklären, als ein aus dem Zusammenhang gerissener Absatz aus Engels’ „Ursprung der Familie“.

Vogels unvollendete Aufgabe

Vogel selbst ging davon aus, dass die stalinistischen Staaten sozialistisch waren, was ihre Analyse der kapitalistischen Form, die im Mittelpunkt ihres Buchs steht, erheblich beeinträchtigt. Deshalb gelingt es ihr nicht, den Dualismus des sozialistischen Feminismus wirklich zu überwinden. Diese Schwäche zeigt sich am deutlichsten in ihrer Diskussion über Strategie. Vogels’ Ausgangspunkt ist die Kluft zwischen der formellen Gleichheit und der sozialen Gleichheit der Frauen. Im Kapitalismus entstand eine sehr eigene Vorstellung von Gleichheit. In einem berühmten Absatz aus Marx’ „Kapital“ heißt es dazu:

Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham34. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z. B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent.35

Der durch abstrakte menschliche Arbeit bestimmte Wert kennt keinen Unterschied zwischen verschiedenen Arten von Arbeit, Arbeit ist in abstrakter Form in der Ware ausgedrückt. Im Kapitalismus wird im Austausch der Ware auch menschliche Arbeitskraft ausgetauscht. Hinter dieser formellen Gleichheit, die die Zirkulationssphäre charakterisiert, steht jedoch die grundlegende wirtschaftliche und soziale Ungleichheit der Klassenausbeutung in der Produktionssphäre. Weil jedoch dieses Konzept der Gleichheit materielle Wurzeln im Kapitalismus hat, schreibt Vogel, dass die „Gleichheit der Personen […] kein rein abstraktes politisches Prinzip oder falsche Ideologie ist […], nicht einfach eine nutzlose Übung in bürgerlichem Reformismus, denn der Kampf für demokratische Rechte kann über den Kapitalismus hinausweisen.“36

Vogel sagt, dass die Spannungen zwischen der Forderung nach formeller Gleichheit und echter sozialer Ungleichheit die „Basis für die Entstehung einer Frauenbewegung seien, die sich auf den Sozialismus orientiert“,37 und fährt fort, dass die Linke in diese Kämpfe nur unzureichend eingegriffen habe. Sie argumentiert, dies liege daran, dass der sozialistische und der sozialistisch-feministische Ansatz sich nur auf die Frau im Betrieb und in der Hausarbeit konzentriert habe, woraus eine ökonomistische und beschränkte Analyse folgte. Diese Orientierung, sagt sie, „lässt die Unterdrückung von Frauen außerhalb der Arbeiterklasse außer Acht und kann das Potenzial für den Aufbau einer fortschrittlichen Frauenorganisation über Klassenspaltungen hinweg nicht erklären, auch nicht die möglichen Hindernisse, Frauen unterschiedlicher ethnischer oder nationaler Gruppen in einer gemeinsamen Frauenbewegung zu vereinen“.38

Die Antwort auf dieses Problem lautet bei Vogel, es müsse untersucht werden, „wie eine breite Bewegung für Frauenbefreiung zu einem wesentlichen Bestandteil des Kampfs für Sozialismus“ werden könne. Vogel begreift, dass Frauenbefreiung mit dem Kampf für Sozialismus eng verbunden ist, und stellt fest, dass „Hausarbeit so lange zur Reproduktion des Kapitalismus erforderlich ist, wie er weiterbesteht, und diese wird überproportional von Frauen verrichtet, meist begleitet von einem System männlicher Vorherrschaft“.39

Vogels Vorliebe für klassenübergreifende Bündnisse resultiert aus ihrer Erfahrung mit der Frauenbewegung in den USA und ihrem Verständnis von Frauenunterdrückung in „real existierenden“ sozialistischen Gesellschaften. Erstens bestand die US-amerikanische Frauenbewegung weitgehend aus solchen klassenübergreifenden Bündnissen, im Gegensatz zur britischen Frauenbewegung, die sich sehr viel stärker auf die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften bezog. Zweitens beeinträchtigt Vogels Einordnung von Ländern wie China, Kuba und der Sowjetunion als sozialistisch einige ihrer besten Einsichten. Sie argumentiert, dass die angeblich sozialistischen Gesellschaften zwar einen Fortschritt bezüglich der Beteiligung von Frauen in der Produktion und im politischen Leben darstellen, Frauen aber nicht nachhaltig von der Last der Hausarbeit befreit wurden oder ihre Unterordnung gemildert wurde. Aus Vogels Sicht hat der „Sozialismus“ in diesen Gesellschaften Frauenunterdrückung weder untergraben noch schließlich aufgehoben, weshalb eine andere Bewegung für Frauenbefreiung notwendig sei. Deshalb vertritt Vogel letztendlich eine Strategie, die auf taktischer Ebene den Dualismus reproduziert, obwohl sie die Neigung der sozialistischen Feministinnen kritisiert, den Kampf für Sozialismus und Frauenunterdrückung als autonome Sphären zu betrachten.

Die Tradition der International Socialists

Die Staatskapitalismustheorie des Begründers der International Socialists40, Tony Cliff, ermöglichte es diesen, das Fortbestehen der Frauenunterdrückung in sozialistischen Ländern recht einfach zu erklären: Diese Länder waren nicht sozialistisch. Auf Grundlage dieser Tradition war es möglich, die Zwickmühle zu vermeiden, in der jene landeten, die die sozialistischen Glaubenssätze der Sowjetunion und ähnlicher stalinistischer Staaten verteidigten. Darüber hinaus erkennt Vogel die Bedeutung nicht, die Marx und Engels der Tatsache beimaßen, dass Frauen Arbeiterinnen wurden und welche Folgen dies für die Familie und die Beziehungen zwischen Mann, Frau und Kindern hatte. An diese Theorie knüpften hingegen die International Socialists an.

Der allgemeine Trend weist für das ganze letzte Jahrhundert bis heute wachsende Erwerbsquoten für Frauen auf. In Großbritannien sank die Erwerbsbeteiligung von Männern von 91,8 Prozent im Jahr 1973 auf 76,2 Prozent im Jahr 2013, die der Frauen stieg in demselben Zeitraum von 54,2 auf 66,7 Prozent (Teil- und Vollzeitarbeit). Während die Zahl der Frauen in Teilzeitarbeit in den letzten 30 Jahren relativ konstant um 42 bis 45 Prozent lag, ist die Zahl der Frauen in Vollzeitarbeit gestiegen. Das Wachstum der Dienstleistungsindustrien, wo in der Regel hauptsächlich Frauen arbeiten, und der Niedergang der klassischen, von Männern dominierten Industrie haben zu dieser Entwicklung beigetragen.

Frauen wurden somit ein immer wichtigerer Teil der beschäftigten Arbeiterklasse, womit auch die Vereinzelung der Frauen in ihrem jeweiligen Haushalt untergraben wurde. Aufgrund dieser Erfahrung sind die Erwartungen der Frauen gestiegen und sie wurden in ihrer Forderung nach Gleichstellung bestärkt. Während Vogel also klassenübergreifende Bündnisse befürwortet und die Linke wegen ihrer Konzentration auf lohnabhängig beschäftigte Frauen kritisiert, haben wir in unserer Tradition den Blick auf Frauen als Arbeiterinnen verteidigt und betont, wie wichtig es ist, dass Frauen außerhalb des Haushalts gesellschaftliche Wesen werden und die Arbeiterklasse entscheidend ist, um echte Befreiung für alle Frauen zu erreichen. Das heißt nicht, sich von anderen, beschränkten Teilkämpfen gegen Frauenunterdrückung fernzuhalten oder feministische Strömungen zu meiden. Aber nur durch den gemeinsamen Kampf von Männern und Frauen als Teil der Arbeiterklasse kann Unterdrückung letztendlich abgeschafft werden.

Die Debatte „Männer profitieren von Frauenunterdrückung“ stand hinter der Frage, ob Männer überhaupt Teil des Emanzipationskampfs der Frauen sein könnten. Lindsey German, Sheila McGregor und Chris Harman von der Socialist Workers’ Party sind gegen die Vorstellung aufgetreten, dass alle Männer von der Frauenunterdrückung profitieren und deshalb ein Interesse an der Aufrechterhaltung der männlichen Vorherrschaft hätten.41 Sie argumentierten, dass der Hauptnutznießer von Frauenunterdrückung nicht der Mann schlechthin, sondern das Kapital ist. Das heißt aber nicht zu leugnen, dass Männer gegenüber Frauen in dieser Gesellschaft auch Vorteile haben, sondern anzuerkennen, dass diese Spaltungen gegen die Klasseninteressen von Männern wie Frauen stehen. German schrieb:

Welche Vorteile Arbeiter auch haben mögen, ihre Interessen liegen wie bei den Arbeiterinnen in dem gemeinsamen Kampf gegen Frauenunterdrückung. Denn der Ursprung der Frauenunterdrückung liegt in der Klassengesellschaft im Allgemeinen und in der kapitalistischen Gesellschaft im Besonderen. […] Das kapitalistische System beruht auf der Ausbeutung von Arbeitern wie Arbeiterinnen. Arbeiterinnen erfahren zusätzliche Unterdrückung, die aus der weiterhin privatisierten Reproduktion der Arbeitskraft resultiert. Diese Tatsache verweist auch auf eine Lösung, die in der kollektiven Aktion der ganzen Arbeiterklasse liegt.42

Wir werden die Welt nicht von Frauenunterdrückung befreien können, ohne sie auch von dem kapitalistischen System befreien zu können, das Frauenunterdrückung aufrechterhält. Spaltungen in der Arbeiterklasse, sei es aufgrund des Geschlechts, der „Ethnie“ oder Nationalität, stärken die Macht des Kapitals über uns. Nur durch die kollektive Aktion der Klasse über diese Spaltungen hinweg kann Ausbeutung und die Unterdrückung, die sie mit sich bringt, beseitigt werden.

Trotz der hier unterbreiteten Kritik an Vogels Buch bietet es eine kluge theoretische Grundlage, um Frauenunterdrückung im Kapitalismus zu verstehen. Vogels milder Umgang mit dem Stalinismus, der hohe Grad an Abstraktion bei der Entwicklung ihres Argumentationsstrangs und ihre ablehnende Haltung bezüglich wesentlicher Einsichten aus der marxistischen Tradition schwächen aber ihren Ansatz, den Ursprung von Frauenunterdrückung und die Veränderungen, denen sie unterworfen war, zu untersuchen. Deshalb orientiert sie auf klassenübergreifende Bündnisse von Frauen. Dennoch sollte Vogel von allen gelesen werden, die Frauenunterdrückung verstehen und dagegen kämpfen wollen—aber mit kritischem Geist.


1 Dies ist eine sehr leicht gekürzte Übersetzung des von Nicola Ginsburgh verfassten Aufsatzes—Daten der im Original abgebildeten Tabelle wurden in den Text integriert. Die Aneignung von Lise Vogels Theorie findet auch an deutschen Universitäten statt. Dieser Aufsatz dient der solidarischen, aber kritischen Befassung damit. Nicola Ginsburgh ist Doktorandin an der Universität Leeds und Mitglied der Socialist Workers Party in Großbritannien; d. Übers.

2 Dank an Paul Blackledge, Sally Campbell, Joseph Choonara, Sheila McGregor und Jenny Sullivan für Kommentare zu den ersten Entwürfen dieser Besprechung.

3 Zur Kritik dieses Ansatzes siehe Choonara und Prasad, 2014.

4 Allen, 2001.

5 Marx, 1962, MEW 23, S. 181.

6 Vogel, 2013, S. 149.

7 Vogel, 2013, S. 146–147.

8 Vogel, 2013, S. 152–153.

9 Vogel, 2013, S. 135.

10 Vogel, 2013, S. 153.

11 Vogel, 2014, S. 160.

12 Vogel, 2013, S. 155–156.

13 Vogel, 1995, S. 35.

14 Vogel, 2013, S. 3.

15 Vogel, 2013, S. 4–6.

16 Benston, 1969; Morton, 1970.

17 Vogel, 2013, S. 21.

18 Dalla Costa und James, 1972.

19 Vogel, 2013, S. 20–21. Eine kurze Kritik der Forderung nach Lohn für Hausarbeit findet sich in Dallas und Hamilton, 1976, und Bruegel, 1976 a; 1976 b.

20 Marx, 1962, MEW, Band 23.

21 Zum Beispiel meinte der griechische Eurokommunist Nicos Poulantzas, dass nur produktive Arbeiter zur Arbeiterklasse gerechnet werden könnten, wobei er die Definition eines produktiven Arbeiters auch noch auf die Hand-/Fabrikarbeiter beschränkte. Poulantzas, 1973. Eine Kritik dieser Position findet sich in Wood, 1986, S. 37; McClaverty, 2005, S. 50; Harvey, 1982, S. 105.

22 Vogel, 2013, S. 22.

23 Lindsey German, die ähnlich argumentiert wie Vogel, nähert sich der Frage aus einem anderen Blickwinkel: „Hausarbeit kann als indirekt Mehrwert produzierend betrachtet werden, da sie direkt Arbeitskraft herstellt. dieses Muster ist wichtig für den Kern der Hauarbeitsdebatte und um die richtigen Schlussfolgerunen daraus zu ziehen. Die beiden Hauptflügel in der Diskussion kommen faktisch zu falschen Schlussfolgerungen: entweder zu der Kampagne Lohn für Hausarbeit, wie sie Selma James vertritt, oder zu der Vorstellung, dass der von der Hausfrau hergestellte Gebrauchswert keine Verbindung zur Warenproduktion oder gar dem Kapitalismus hat. […] Die Hausfrau produziert nur Gebrauchswerte; aber diese haben eine Wirkung auf die Arbeitskraft. […] Hausarbeit existiert in eben dieser Form wegen der Lohnarbeit und der Warenproduktion“; German, 1989, S. 72–73.

24 Vogel, 2013, S. 29. Siehe auch German, 1981 und 1989.

25 Siehe, Cliff, 1984, S. 67–109.

26 Vogel, 2013, S. 36–38.

27 Siehe die detaillierte Verteidigung Engels’ in: McGregor, 2013.

28 Engels, Friedrich, 1962, S. 61: www.mlwerke.de/me/me21/me21_036.htm

29 Vogel, 2013, S. 88–89.

30 Engels, S. 27.

31 Vogel, 2013, S. 33–34.

32 Harman, 1984, S. 16. Engels’ Satz lautet wie folgt: „Die alte, auf Geschlechtsverbänden beruhende Gesellschaft wird gesprengt im Zusammenstoß der neu entwickelten gesellschaftlichen Klassen; an ihre Stelle tritt eine neue Gesellschaft, zusammengefaßt im Staat, dessen Untereinheiten nicht mehr Geschlechtsverbände, sondern Ortsverbände sind, eine Gesellschaft, in der die Familienordnung ganz von der Eigentumsordnung beherrscht wird und in der sich nun jene Klassengegensätze und Klassenkämpfe frei entfalten, aus denen der Inhalt aller bisherigen geschriebnen Geschichte besteht.“ (Engels, S. 27)

33 Harman, 1984, S. 16.

34 Jeremy Bentham war ein englischer Philosoph, der alles unter dem Prinzip der „Nützlichkeit“ verhandelte. Marx nannte ihn „ein Genie in der bürgerlichen Dummheit“; d. Übers.

35 Marx, MEW, Band 23, S. 189–190.

36 Vogel, 2013, S. 171–172.

37 Vogel, 2013, S 175.

38 Vogel, 2013, S. 176.

39 Vogel, 2013, S. 176.

40 Die International Socialists wurden in Großbritannien gegründet. Sie bilden mit der Socialist Workers’ Party als Hauptorganisation und anderen internationalen Organisationen die International Socialist Tendency; d. Übers.

41 Siehe German 1981, 1986; Harman 1984 und McGregor 1985.

42 German, 1986, S. 138.


Literatur

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